Über ein Vierteljahrhundert lacht zwar die Oma, in weniger betagten Kreisen ist ein derartiges Jubiläum allerdings Grund genug, einen kräftigen Stromröhrensound ins Publikum zu dampfen, auf dass den Angereisten die Pfeffi-Gläser aus der Hand fallen.
Das Geburtstagkind wohnt im Süden von Leipzig und erhielt kurz nach der Kehre den Namen Conne Island, wobei man in Szenekreisen doch eher vom Eiskeller fachsimpelt, und ist seit dem feste Institution, wenn es um Punkrock, Hardcore, antifaschistische Gegenkultur und bierbeseelte Feierei geht. Kaum ein Veranstaltungsschuppen hat sich über die Jahre so etabliert und bietet nach wie vor einen bunten Mix szenetypischer Lautheit mit buntem Charme und politisch inkorrekter Verständigung. 25 Jahre – wir gratulieren.
Da man einen solchen Ehrentag zur Steigerung des Brausedurchsatzes am besten auf viele Tage aufdröselt, zelebriert sich das Conne Island in den nächsten Monaten mit einigen wohl temperierten Abendveranstaltungen quasi selbst. Los ging es am 2. September mit einer befreundeten Truppe aus Kalifornien, die bereits mehrfach gute Erfahrungen mit dem Leipziger Publikum gemacht hatten.
Doch bevor man die Torte anschneidet und mit dem Sahnestückchen in die Dunkelheit verschwindet, gibt es immer noch ein wenig Palaver und Schnickschnack, um dem Abend eine gewisse Umrahmung zu kredenzen.
Bei Krachveranstaltungen heißt der Holzrahmen Support, dient zum Test der Gesangsanlage und spielt meist vor ein paar versprengten Zuschauern, die entweder nicht wissen, dass man bei Konzerten aufgrund des vorgelagerten Gelages gefälligst stets zu spät kommt, oder, die zwecks musikalischem Interesse auch dem Randgebläse auf die Saiten fratzen wollen.
Der Außenrand des Rahmens bildete eine Vierer-Formation älterer Herren aus Rotterdam (der Sänger erwähnte mehrfach seine 47 Lenze) mit dem trolligen Namen ONCE I CRY, die es trotz ihrer Lebenserfahrung nicht über die musikalische Einfältigkeit einer Schülerband gebracht haben. Obwohl nicht unsympathisch, spielte die Kapelle trotzdem nur eine halbgare Mischung aus Steno-Beat-Melodic-Hardcore gemixt mit ein wenig Oldschool British Punkrock und einer Prise Attitude – wir ziehen hier unser Ding mit kurzen Hosen seit 30 Jahren durch – Moshing.
Der Sound war schlecht bis grottig (wenn ich nur Bass und Schlagzeug hören will, geh ich in den Jazzkeller und lade den Typen am Klavier zum gemeinsamen wegschädeln an der Fuselbar ein), was allerdings ein immer wiederkehrendes, weltweit gemeinsames Schicksal aller Supporter zu sein scheint. Applaus gab es trotzdem, denn zum Heulen war’s jetzt nicht unbedingt und man hatte immerhin die Anlage warm gespielt.
Anschließend ging es zum Pfeffi – Umtrunk in die gegenüberliegende Kaschemme (kein Nordbrand – Pfefferminzwässerchen vorrätig *stop* habt ihr sie noch alle? *stopp* wir haben’s trotzdem getrunken wie die Blöden *stopp*), um danach noch der zweiten Einfassleiste ISOLATED aus Sachsen-Anhalt Gehör zu schenken. Nun ja, die paar Lieder, welche noch das Ohr erreichten, klangen nach solider Hardcore-Arbeit der Marke Agnostic Front und sahen von der Ferne aus betrachtet auch fast so aus. Die Jungs gaben sich redlich Mühe, sorgten für huschelige Wohlfühlatmosphäre und legten den Grundstein für die ersten Tanz- und Akrobatikeinlagen des inzwischen vorgeheizten Eiskeller-Auditoriums. Wir waren trotzdem nicht unbedingt traurig, einen Großteil des Auftritts dem Pfefferminzgott geopfert zu haben, denn am Hardcore-Himmel ist hier definitiv kein Innovationsstern aufgegangen. Die Gesangsanlage hatte aber jetzt definitiv Betriebstemperatur.
Braucht sie auch, denn mit Zoltán Téglás steht dem Hauptact immerhin ein charismatischer Stimmband-Hansdampf oberster Couleur vor, der seit inzwischen -fast- einem Vierteljahrhundert die Orange County – Walze IGNITE antreibt und nicht nur physisch allerlei Raum einnimmt.
Über das Ensemble braucht man sicherlich nicht viele Worte zu verlieren. Der geneigte Punkrocker hat mindestens drei Alben der Formation im Schrank kleben und selbst manche Mainstream-Artisten sind nicht blöd genug, schon mal ein Liedchen der Truppe auf’s Ohr bekommen zu haben.
Spannend war’s aber trotzdem.
Das lag zuerst an einem lokalen Helden namens Gerhard, dem noch vor Rasmussen und Co. die Bühne überlassen wurde. Dort durfte er, von gräulicher Wiesen-Fiesta-Mukke untermalt, sein Programm zum Besten geben. Dieses wiederum bestand daraus, mit leckerem Schwarzbier gefüllte Gläser auf einem zwischen den Zähnen geführten Dolch zu balancieren. Nein, die LSD-Zeiten des Schreibers haben keine Renaissance erlebt. Das ist tatsächlich passiert.
Mit einem Mix aus ungläubigem Staunen, lolliger Fremdscham, sarkastischer Witzelei und gönnerhaftem Mitmachzynismus wurde die dreiminütige Nummer vom Publikum abgefeiert. Sieht man immerhin nicht alle Tage.
Danach ging’s los und auf die Fresse. Ignite stampften direkt drauf los und eröffneten mit Bleeding in gewohnter Manier. Alles flog wild durcheinander und die Bühne wurde fleißig als Absprungrampe zum Publikumstauchen genutzt. Alte und neue Hits wurden solide heruntergespielt, wobei das Publikum tatkräftig mithalf, die Geburtstagstorte angemessen zu verwursten. Zoli (bei gefühlten 63 Grad Celsius Raumtemperatur im Pullover) und Brett (immer direkt am Publikum und offensichtlich bestens gelaunt) waren wie immer die Antreiber. Kevin Kilkenny spielte ein solides Gitarrenbrett ohne sonderlich aufzufallen und Craig „Rauschebärtchen“ Anderson trommelte geradewegs vor sich hin, schien allerdings nicht viel Aufhebens um den restlichen Klamauk zu machen. Schlagzeuger sind echt seltsam.
Egal ….. witzige Anekdote zwischendurch:
Es kommt selten vor, dass mitten in einem Song die Performance abgebrochen wird. Falls doch, ist entweder der Tonmann eingeschlafen, die Technik spinnt, die Band hat ihre Nutzlosigkeit erkannt und löst sich spontan auf oder der Drummer laboriert unter einem unmittelbaren Ermüdungsbruch des Jochbeines infolge eines gezielten 0,5 Liter – Glasmantelgeschoss – Angriffs aus den hinteren Publikumsreihen. Beim gestrigen Auftritt verstummte Zoli allerdings aus einem anderen Grund irgendwann zwischen Minute 20 und 30. Im Publikum bildete sich eine enorm große Lücke und zahlreiche Zaungäste stellten das Tanzen ein. Man blickte gemeinschaftlich auf den Boden und sah verwundert aus.
Was war passiert? Eine verletzte Person? Schwierigkeiten im Pulk? Hat einer das Bernsteinzimmer entdeckt?
Das fragte sich auch der Ignite-Frontmann und brach ab.
Ratloses Schweigen über eine unbequem lange Zeit. Plötzlich die Erhellung. Ein Mittänzer hatte seine Brille (!) im Pit verloren, die aber glücklicherweise von einem Mitstreiter auf dem Boden entdeckt und an den undurchsichtigen Besitzer zurückgegeben wurde.
Den Gesichtsausdruck von Zoli bei der Auflösung des Rätsels hätte ich zu gern auf SD-Karte gebannt. Mit dem Hinweis, dass das hiesige Publikum massiv einen an der positiven Klatsche hat, wenn man wegen eines Spekuliereisens die Pferde scheu macht, ging es fluffig und mit Volldampf weiter.
Ein bunter Mix aus allen Platten wurde durchexerziert, wobei man bei Ignite immer so ein Déja-Vu-Erlebnis hat. Namentlich, dass man die Playlist in dieser Form schon vom letzten Auftritt kennt. Große Neuerungen oder spontane Planänderungen sind in der Regel nicht zu erwarten. Das ist nicht schlimm, aber manchmal etwas eintönig.
Um etwas in die inzwischen hochverschwitzte Suppe zu spucken, beschloss man seitens der Bühnen-Crew nach circa 50 Minuten Spielzeit das Stagediving zu unterbinden. Seltsam. Es war nichts vorgefallen und auch die Band gab zu keiner Zeit Laut, man möge doch bitte den Künstlern freie Sicht gewähren. Ganz im Gegenteil. Bassist und selbsternannter Fanrechtsbeauftragter Brett Rasmussen gab einem rüde schubsenden Bühnen-Sicherheitsfuzzi sogar noch ein Zeichen, er möge den Spaß-haben-wollenden Fans doch bitte den gezielten Sprung ermöglichen. Trotzdem sackte die Stimmung etwas ab.
Sie wurde auch nicht besser, als Zoli den Song Call on my brothers mit einer Referenz auf die Donots und die Beatsteaks ankündigte. Was soll das denn bitte? Ich stelle mir da eine weltweit tourende Hardcore-Institutions-Band vor, die, im Tourbus sitzend, am Ortseingangsschild guckt, in welchem Land sie gerade ist, um dann anschließend bei Wikipedia ein paar lokale Alteingesessene herauszugoogeln, mit welchen sie am Abend das blöde Auditorium hofieren kann. Billig, aber gemutmaßt. Womöglich kennt man sich auch aus alter Zeit und ist nur nicht up-to-date genug, den Szeneverfall oben genannter Musikgruppen reflektieren zu können. So, jetzt ist aber genug gemeckert.
Na ja, einen vielleicht noch:
Ich kann Sunday Bloody Sunday nicht mehr hören. Meine Fußnägel rollen sich nach oben, wenn dieses Lied auch nur angekündigt wird. Dieser Song gehört zum Ignite – Konzi wie die Warze an den Hintern von Wölfi – ist aber mindestens ebenso nutzlos. U2 haben damit einen unerreichten Welthit komponiert und man fand es auch toll, als Ignite diesen 2006 als adaptiertes Cover auf ihr Album „Our darkest days“ pressten. Aber das ist halt schon 10 Jahre her. Inzwischen hat man die Band über Gebühren oft damit live erlebt und es reicht einfach.
Viel schlimmer noch: die Ankündigung des Ganzen.
Man belehre mich eines Besseren, aber ich glaube zu wissen, dass das Original seiner Zeit den Nordirlandkonflikt thematisierte, welcher wiederrum als Religionszwist zwischen durchgedrehten Katholiken und nicht minder fundamentalistischen Protestanten eskalierte.
Angekündigt wurde das Lied mit einer Kurzgeschichte eines anwesenden Altpunkers, der früher als DDR-Grenzsoldat die Dreistigkeit besaß, seinem Westdeutschen Leidensgenossen im Dienst ein Bier zu reichen und darauf 3 Jahre im sozialistischen Justizvollzug verschwand. Wahrlich keine schöne Geschichte, worauf Zoli voller Nachdruck „I fuckin‘ hate communism“ ins Mikro röhrte.
Mag sein, aber das zum Anlass zu nehmen, das U2-Cover anzukündigen, ist mindestens weit hergeholt.
Ach Mann, vielleicht rege ich mich auch nur einfach auf, weil ich das Stück nicht mehr ertrage und es vom Publikum dennoch pflichtschuldig abgefeiert wurde. Liebe Fans, so hören die nie damit auf. Gebt der Band mal die Chance auf das Covern eines anderen Titels, indem ihr SBS bitte nicht mehr beklatscht. Es reicht wirklich.
Ansonsten war ungewohnt wenig Politisches von Zoli zu hören. Man hielt sich mit Statements weitestgehend zurück und konzentrierte sich auf die anstehende 25 Jahr – Feier. Für Man against man gab er das Mikrofon sogar an einen lokalen Repräsentanten des Conne Island ab, den ich allerdings aufgrund reifender Unterhopfung nicht verorten konnte. Man möge mir auf die Sprünge helfen.
Mit fortschreitender Zeit wurde das Publikum dann ein wenig müde und auch die Band schaltete einen Gang zurück. Live for better days kam souverän nett und auch der Titel Slowdown wurde als anmutiger Sing-along zum Besten gegeben. Schön. Inzwischen war auch das Bühnen-Hüpfen wieder erlaubt. Allein die Kraft war bei vielen Zuschauern schon geschwunden. Die intensive Show hatte ihre Spuren hinterlassen.
Die übliche Pause mit abschließender Zugabe machte den Abend rund. Man bedankte sich nett beim Publikum, klatschte ab und verließ das Haus zur sicher zünftigen Aprés-Sause.
Alles in allem ein solider, wenn auch vorhersehbarer Auftritt der Orange County – Gesellen ohne Schnörkel, mit ein paar witzigen Anekdoten, aber auch ohne große Highlights. Ob man die braucht, bleibt dahingestellt. Ignite machen stets solides Programm und sind rundherum eine sympathische Truppe mit musikalischem Geschick. Das wollten wir sehen, das haben wir bekommen.
Und nächstes Jahr machen auch die Jungs die 25 Jahre voll. Dann vielleicht mit neuem Material und ohne Sunday Bloody Sunday im Programm.
Danke für den netten Abend und noch einmal herzlichen Glückwunsch an das Conne Island zu einem Vierteljahrhundert astreiner Arbeit.